In ihrer historischen Entwicklung, ihrer institutionellen Konstitution, ihren Finanzierungsmechanismen, ihren diversen sozio?konomischen und karitativen Kernfunktionen, ihren umfangreichen Infrastrukturen und vor allem in ihrer pragmatischen Schriftlichkeit zeigt sich die vitale Verzahnung sp?tmittelalterlicher und (früh-)neuzeitlicher Hospit?ler derer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit denen europ?ischer St?dte und Regionen. Aktuelle Zug?nge der Hospitalgeschichtsschreibung betrachten allt?gliche ?konomische Abl?ufe im einzelnen Spital als Gro?haushalt. Andere wiederum ordnen Kennzahlen aus Spitalrechnungsbüchern in überregionale Wirtschaftszusammenh?nge ein. Mit methodisch offenem Fokus widmete sich das Symposium ?Spital und Wirtschaft“ den diversen Facetten der Untersuchung des materiellen Lebensstandards und – ganz allgemein – der wirtschaftlichen Praxis in vormodernen Hospit?lern.
Nach einer programmatischen Einführung durch MARK SPOERER (Regensburg), die zentrale Entwicklungslinien der Wirtschafts- und Agrargeschichte vom Sp?tmittelalter zur Industrialisierung in Mitteleuropa skizzierte und die Diskussionen zur so genannten Little Divergence in direkten Kontext zur Hospitalgeschichte und ihrer spezifischen ?berlieferungssituation brachte, setzte THOMAS FRANK (Pavia) den Rahmen für erste Diskussionen. Er beschrieb einige gr??ere italienische Hospit?ler des Sp?tmittelalters – u. a. Florenz, Siena und Mailand – auf Basis von Fiskal- und Notariatsüberlieferung als Wirtschaftsbetriebe mit einem Schwerpunkt auf der Landwirtschaft. Er zeichnete einen Trend hin zu Verpachtung und ?konomisierung nach, der zu einer Bedeutungserweiterung der Hospit?ler als Kreditanstalten für breite Bev?lkerungskreise geführt habe. Herausgearbeitet wurden die personalen Netzwerke der Hospitalsverantwortlichen und damit das symbolische Kapital der jeweiligen Institutionen als Faktor ihrer ?konomischen Effektivit?t. Die Strahlkraft italienischer Hospit?ler, deren Aufbau als Vorbild für Gründungen im weiteren europ?ischen Umfeld gilt, spiegelte sich in den Ausführungen von SIMON ZSOLT (T?rgu Mure?), der die administrative Struktur, die Finanzierung sowie die Einnahmen- und Ausgabenmuster der transsilvanischen Hospit?ler von Sibiu, Bistri?a und Bra?ov bis zu deren ?bernahme in den osmanischen Herrschaftsbereich analysiert hat und somit ein Schlaglicht auf die Parallelen, aber auch Unterschiede institutioneller Fürsorgeeinrichtungen in Zentraleuropa warf.
Den Blick auf Spital?konomien in Reichsst?dten lenkte schlie?lich JEANNETTE FISCHER (Lübeck) mit ihrer Projektvorstellung zur Rechnungsbuchüberlieferung des Heiligen-Geist-Hospitals zu Lübeck in der zweiten H?lfte des 16. Jahrhunderts. Serielle und nicht-serielle Quellen geben Aufschluss zur Verwaltungsgeschichte des Hospitalbetriebs per se, aber – zentral über eine Auswertung der detaillierten Küchenrechnungen – auch zur Alltags- und Konsumgeschichte der Hansestadt. W?hrend Fischer sich also mit der ??konomie der Schriftlichkeit“ eines niederdeutschen Hospitals 1540–1610 befasste, zeigte STEFAN SONDEREGGER (St. Gallen) die seinen Forschungen nach zentralen Funktionen kommunaler Spit?ler auf – Fürsorge, Wirtschaft bzw. Finanzierung sowie Herrschaft und Administration. Hierfür wertete Sonderegger Quellen zum Heiliggeistspital der Reichsstadt St. Gallen aus, u. a. seine Edition der Stadtbücher. Der Referent betonte die Bedeutung der Landwirtschaft (auch: Weinwirtschaft) für das St. Gallener Spital und stellte heraus, dass für ein Begreifen des Wirtschaftens eines st?dtischen Spitals die Untersuchung qualitativer als auch quantitativer Aspekte grunds?tzlich ineinandergreifen müsse.
Auch der ?ffentliche Abendvortrag von MARTIN SCHEUTZ (Wien), der sich auf Grundlage von Beispielen aus Bayern und ?sterreich mit den wirtschaftlichen Aktivit?ten verschiedener Spit?ler vor karitativem Hintergrund besch?ftigte, stützte die in den ersten Sektionen untermauerte Behauptung einer auf ?konomischer Effizienz angelegten Wirtschaftsführung vormoderner Hospit?ler und der damit einhergehenden Bürokratisierungstendenzen, die auf der Notwendigkeit des pragmatischen Nachvollziehens der Rechnungslegung beruhten. Obwohl Scheutz, wie auch manche ReferentInnen insbesondere am zweiten Tag des Symposiums, eine Tendenz zur Verschleierung der tats?chlichen Kassenbewegungen feststellte, konstatierte seine Keynote ein Primat von Besitzerhaltung, Eigenverwaltung und Vorratshaltung als Leitmotiv der wirtschaftlichen Handlungspraxis sozialkaritativer Einrichtungen in Sp?tmittelalter und (Frühe) Neuzeit.
Mit dem Wirtschaften im frühneuzeitlichen Krankenhaus – in Kontrastierung zum Hospital als Fürsorgeeinrichtung mit eigenst?ndigem Profil – besch?ftigte sich eine weitere Sektion. Zun?chst stellte SUSANNE WANNINGER (Regensburg) die Wirtschaftsführung im Krankenhaus St. Josef in Regensburg in den Jahren 1664–1837 vor und stellte ausgew?hlte Quellenzitate aus dem Bisch?flichen Zentralarchiv ins Zentrum ihres Vortrags, um von diesen anekdotischen Beispielen ausgehend wirtschaftshistorische Forschungsfragen nach dem regionalen Kreditnetzwerk des Krankenhauses und dessen Gesch?ftsgebaren analytisch aufzuf?chern. Einem eher medizinhistorischen Thema – der Kranken- bzw. Verletztenfürsorge im Kriegs- bzw. Milit?rkontext – widmete sich im Folgenden NEBIHA ANTONINE GUIGA (Paris). Guiga befasst sich, auf der Basis von statistischen Quellen aus dem Kriegsarchiv in Wien, mit Milit?rhospit?lern w?hrend des Fünften Koalitionskriegs im Jahr 1809. Ihr Vortrag konzentrierte sich auf die Folgen der Schlachten bei Aspern-Essling und Wagram und nahm die verwaltungsm??ige und personelle Organisation der provisorischen Feldhospit?ler in den Blick. Obschon die Quellenlage eine exakte Rekonstruktion der Umst?nde der behandelten Offiziere und Soldaten nicht erlaubt, konnte der Vortrag von Guiga konventionelle Vorstellungen über die Krankenpflege und die ?berlebenschancen im frühen 19. Jahrhundert korrigieren und somit das generelle Wissen über eine Ereigniskette erg?nzen, die die Existenz zahlreicher Hospit?ler in Mitteleuropa entscheidend gepr?gt hat – so auch des Regensburger St. Katharinenspitals, das in Folge von Kampfhandlungen im ?sterreichisch-Franz?sischen Krieg im Frühjahr 1809 fast komplett zerst?rt wurde.
Mit Entscheidungsfindung und Erfahrungshandeln in der ?Getreidepolitik“ des Regensburger St. Katharinenspitals befasste sich daraufhin KATHRIN PINDL (Regensburg). Anhand des Fallbeispiels der klimabedingten Hungerkrise von 1770, deren Konsequenzen für die BürgerInnen der Reichsstadt und die SpitalbewohnerInnen durch bayerische Getreidesperren noch versch?rft wurde, zeigte die Referentin den Umgang des durch interne Umstrukturierungen in seiner Handlungsf?higkeit geschw?chten Spitals mit der Krisensituation auf. Das Hospital war über seine Eigenwirtschaft und Grundherrschaft sowohl Produzent als auch als Konsument von Getreide, daneben verfügte es über Getreidek?sten, die eine gewisse Vorratshaltung erlaubten. Pindls Quellenauswertung zufolge handelten die Spitalsoffizianten marktwirtschaftlich rational, doch im Gleichklang mit weiteren Untersuchungen kommt sie zum Schluss, dass es nur im Zusammenspiel mit den Regensburger Beh?rden und aufgrund der spezifischen politischen Geographie gelang, die Krise ohne ?bersterblichkeit oder externe Hilfsma?nahmen zu meistern. Auf die Eigenwirtschaft und Grundherrschaft des Regensburger Hospitals vertieft eingegangen ist dann CHRISTOPH-WERNER KARL (Neusath-Perschen), dessen agrarwirtschaftlich orientierter Beitrag die Verpachtung landwirtschaftlicher Nutzfl?chen des Spitals und hier im Besonderen die sich wandelnden (gewohnheits-)rechtlichen Konstrukte und Praktiken im 18. Jahrhundert zum Thema hatte. Konkrete Quellenbeispiele beleuchteten die Auswahl- und Entscheidungsmaximen der Spitalmeister bei neuen P?chtern und machten die aufgrund wirtschaftlicher Notlagen erforderlich gewordenen Reformbemühungen der sp?tmittelalterlich konstituierten Institution w?hrend der Sattelzeit nachvollziehbar.
Mit der Anpassung der Spitalwirtschaft in Regensburg an die Verh?ltnisse im ?kurzen 18. Jahrhundert“ besch?ftigte sich auch LUDWIG PELZL (Florenz), dessen Beitrag den Anhang von Rudolf Neumaiers 2011 erschienenem Standardwerk ?Pfründner: Die Klientel des Regensburger Katharinenspitals und ihr Alltag (1649–1809)“ mit deskriptiv-statistischen Mitteln im Lichte der Fragestellung nach dem richtigen Preis für den Pfründenkauf unter verschiedenen Pr?missen wie Geschlecht, Konfession, Herkunft und Lebensstand neu auswertete, was die Sinnhaftigkeit der Bereitstellung von kompiliertem Datenmaterial für innovative Forschungsvorhaben deutlich aufzeigte. Eine lebhaft sich entspinnende Diskussion regte hier eine weitergehende ?konometrische Auswertung an, die unter Umst?nden überraschende Zusammenh?nge zwischen Interessenteneigenschaften und Pfründenkauf aufdecken k?nne.
Die bereits in mehreren vorhergehenden Referaten angeklungenen Grenzen der Aussagekraft von Spitalrechnungen aufgrund von immer wieder nachweisbaren zahlenm??igen Ungenauigkeiten verschiedentlichen Ursprungs – nicht selten Misswirtschaft und Betrug – wurden dann überaus anschaulich von ALFRED STEFAN WEISS hervorgehoben, der faktenges?ttigt diverse Malversationen in Spit?lern des Herzogtums Steiermark, etwa in Bruck an der Mur, darstellte. Wei? erl?uterte anhand des vielf?ltig vorhandenen Quellenmaterials aus dem entstandenen Rechtsstreit bildhaft die negativen Konsequenzen des Unterschleifs der Spitalpfleger auf die Lebensumst?nde die Insass/inn/en, die rein anhand der quantitativen Daten schwer fassbar gewesen w?ren.
Zum Abschluss des Symposiums wurden Spitalrechnungen als Quelle für den historischen Lebensstandard ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. SEBASTIAN POESSNIKER (Regensburg) erl?uterte sein Forschungsprojekt zu den Rechnungsbüchern der Fürsorgeeinrichtungen der Reichsstadt Regensburg in Sp?tmittelalter und Früher Neuzeit. Im inhaltlichen Kontext des so genannten ?Ausgangs aus der Armutsfalle“ interessieren in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Zeitreihen zu L?hnen und Preisen, die bei aller Quellenkritik eine Berechnung des materiellen Lebensstandards etwa über Reallohnreihen und die den Preisindices zugrunde liegenden Warenk?rbe erm?glichen. P??niker unternimmt ein solches Unterfangen für verschiedene Berufsgruppen aus Regensburg und der Region. Zwischenergebnisse zum 17. Jahrhundert stellte er im Beitrag vor. Vergleichbare Untersuchungen zum Lebensstandard im vormodernen Wien werden von MICHAEL ADELSBERGER (Wien) durchgeführt. Seine Preis- und Lohndaten stammen aus den Rechnungsbüchern des Wiener Bürgerspitals, dessen vielf?ltige (land-)wirtschaftliche Aktivit?ten ebenfalls ausführlich quellenm??ig dokumentiert sind. Adelsberger pr?sentierte analog zu P??niker erste Lohn- und Preisreihen, zumeist aus dem Bauhandwerk, sowie Entwürfe für Warenk?rbe, was in einer fachlich ergiebigen und für alle Tagungsteilnehmenden fruchtbaren Abschlussdiskussion im Plenum mündete.
Als Fazit des Symposiums ?Spital und Wirtschaft“ hat sich best?tigt, dass das vielfach noch nicht ersch?pfend ausgewertete pragmatische Verwaltungsschriftgut der europ?ischen Hospitallandschaft eine wertvolle Quelle für die wirtschafts-, sozial- und kulturhistorische Forschung darstellt, die oftmals noch erschlossen (vgl. etwa www.spital-history.ur.de) und methodisch kritisch diskutiert werden muss. Die 14 Referate erhellten anhand von konkreten Fallbeispielen den Horizont zur wirtschaftlichen Handlungspraxis einzelner Hospit?ler, zur Organisation von Spitalbetrieben im Allgemeinen sowie zum Spannungsfeld von karitativem Ideal und Markt – hier brachte die Tagung dezidiert Synergien zwischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit Stadt- und Spitalgeschichte zum Ausdruck, so dass bleibt, einer Publikation der Tagungsergebnisse in der Reihe ?Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens“ mit Interesse entgegenzusehen.
Konferenzübersicht:
Wolfgang Lindner, Spitalmeister des St. Katharinenspitals, Regensburg
Dompropst Pr?lat Dr. Franz Frühmorgen, Vors. des Spitalrats, Regensburg
Gertrud Maltz-Schwarzfischer M.A., Bürgermeisterin der Stadt Regensburg
Prof. Dr. Susanne Leist, Vizepr?sidentin der Universit?t Regensburg
Einführung in das Tagungsthema
Mark Spoerer (Regensburg)
Moderation: Klaus Bergdolt (K?ln)
Thomas Frank, (Pavia): Italienische Hospit?ler des Sp?tmittelalters als Wirtschaftsbetriebe
Simon Zsolt, T?rgu Mure? (ROM): The Finances of the medieval Transsylvanian Hospitals
Moderation: Bernhard L?ffler (Regensburg)
Jeannette Fischer (Lübeck): Schriftlichkeit der ?konomie – ?konomie der Schriftlichkeit
Stephan Sonderegger (St. Gallen/Zürich): St?dtische Spit?ler: Sozialer Auftrag, Wirtschaft und Herrschaft. Das sp?tmittelalterliche Heiliggeistspital der Reichsstadt St. Gallen
?ffentlicher Abendvortrag
Martin Scheutz (Wien): Wirtschaften vor karitativem Hintergrund. Beispiele aus Bayern und ?sterreich in der Frühen Neuzeit
Moderation: Harriet Rudolph (Regensburg)
Susanne Wanninger (Regensburg): Wirtschaftsführung in einem Krankenhaus der Vormoderne – St. Josef in Regensburg (1664–1837)
Nebiha Antonine Guiga (Paris): Everyday life, organization and supplies management: military hospitals in and around Vienna during the 1809 campaign in Austria
Moderation: Artur Dirmeier (Regensburg)
Kathrin Pindl (Regensburg): Saison und Subsistenz: Entscheidungsfindung und Erfahrungshandeln in der Getreidepolitik des Regensburger St. Katharinenspitals (17.–19. Jahrhundert)
Christoph-Werner Karl (Neusath-Perschen): Zwischen Eigenwirtschaft und Grundherrschaft – Die Verpachtung landwirtschaftlicher Nutzfl?chen durch das Regensburger St. Katharinenspital
Moderation: Daniel Drascek (Regensburg)
Ludwig Pelzl (Florenz):?... and they lived happily ever after”? Commercial Retirement Business at St. Catherine’s Hospital in Regensburg, 1649–1809
Alfred Stefan Wei? (Salzburg): Betrug und Unterschleif: Malversationen in Spit?lern des Herzogtums Steiermark im 18. Jahrhundert
Moderation: Mark Spoerer (Regensburg)
Sebastian P??niker (Regensburg): Die Rechnungsbücher der Fürsorgeeinrichtungen der Reichsstadt Regensburg und der Lebensstandard der ?kleinen Leute“
Michael Adelsberger (Wien): Lebensstandard im vormodernen Wien
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