Zu den zentralen Beobachtungsfeldern vormoderner Metropolit?t z?hlen die kommunikative und institutionelle Verdichtung der metropolitanen Gesellschaft sowie daraus resultierende Dynamiken des politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, kulturellen Handelns. Zuerst in den gro?en Metropolen machten neuartige Bedürfnisse der sozialen Regulierung die ?berholung des ?lteren Modus der ?Anwesenheitskommunikation“ (R. Schl?gl) notwendig. Gleichzeitig ist die vormoderne Metropole der soziale Raum, in dem neue Formen der ?ffentlichen Kommunikation im face-to-face-Bereich entstehen (Predigt, Theater, neue Formen der politischen Teilhabe etc.) und die schriftgestützte Formierung von literarisch und/oder religi?s orientierten ?Diskursgemeinschaften‘ neue und mit dem Aufkommen des Buchdrucks ungeahnte Ausma?e nehmen wird. Kennzeichnend für die Kommunikation in den vormodernen Metropolen ist also gerade die Spannung zwischen einerseits ihrer sozialen, kulturellen, religi?sen und sprachlichen Heterogenit?t und den darin begründeten Pluralisierungsm?glichkeiten, andererseits den Potentialen von Zentralisierung und Rationalisierung, die die erh?hte ?Dichte‘ politischer, religi?ser und wirtschaftlicher Funktionseliten in den Metropolen er?ffnet.
In Stadtsoziologie und Metropolitan Studies ist Dichte / Verdichtung eine viel diskutierte Kategorie. W?hrend noch E. Durkheim davon sprach ?materielle Dichte“ sei ?beobachtbare Urbanisierung“, weitet M. L?w den Dichtebegriff der Stadtsoziologie auf symbolische und materielle Formen und Praktiken aus: ?Dichte ist das Organisationsprinzip, nach dem sich symbolisch und materiell die st?dtische Welt spezifisch anordnet“ (L?w 2011). Für vormoderne Metropolit?t erweisen? sich? gerade? symbolische? Praktiken? der? Kommunikation? als? weiterführendes? Untersuchungsfeld. Die alle Lebensbereiche erfassende ?dichte‘ Vernetzung in Metropolen bringt spezifische Formen der Kommunikation, spezifische Formen der Vergesellschaftung und spezifische Formen der identit?ren Bearbeitung hervor, deren Gesamtheit metropolitane Kultur definiert. Im kom- munikativen Verdichtungsraum der Metropole zielt diese Perspektive besonders auf jene Kommunikationsprozesse ab, die an der Konstruktion ?symbolischer Ordnungen“ und damit wesentlich an der Herstellung institutioneller Stabilit?t beteiligt sind.
Gerade die Dynamik der demographischen und sozialen Prozesse in Metropolen führt zu? Kommunikationsformen, die die Differenz zwischen ?Eigenem‘ und ?Fremdem‘ und die damit verbundenen Inklusions- und Exklusionsprozesse thematisieren. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@ ist beispielhaft an der Nekropolitik sp?tantiker Metropolen deutlich zu machen, der sich aus dem Kreis der Antragsteller A. Merkt zuwendet : In der Sp?tantike erhalten einerseits die suburbanen Friedh?fe eine neue Funktion als ?ffentliche R?ume, ?exzentrische“ Orte und ?Heterotope“ (Foucault), an denen sich religi?se und politische Geltungsansprüche durch Bauma?nahmen (Basiliken, Pilgerherbergen usw.), Rituale (Prozessionen, Pilgerumg?nge u.?.) und eine neue Form der Massenkommunikation (Predigten und Lesungen vor Hunderten, mancherorts Tausenden von Zuh?rern) manifestieren. Andererseits werden zunehmend Reliquien mobilisiert, um den religi?sen und politischen Status von St?dten zu unter - streichen und ihr Verh?ltnis zueinander zu definieren. Zu dieser Thematik bietet sich eine Vielzahl von Einzelstudien an, die sich mit bestimmten Quellengenera (zum Beispiel Grabinschriften, die eine Zuordnung zu politischen und religi?sen poleis formulieren; Predigten an M?rtyrerfesten; Briefwechsel über Reliquienaustausch), transmetropolitanen Diskursen (z.B. Korrespondenz zwischen Rom und Konstantinopel über Apostelreliquien als Statussymbole) oder religionspolitischen? Symbolhandlungen? (z.B. antijüdische? Instrumentalisierung? der? Stephanusreliquien; Renvirements von Nekropolen zur Abgrenzung von Andersgl?ubigen) befassen. Insbesondere w?re auch durch Fallstudien die These Ramsay MacMullans (2009) zur von ihm sogenannten ?se- cond church“ zu prüfen; demnach h?tten sich die Massen der Christen regelm??ig auf den suburbanen Friedh?fen versammelt und seien dort bis etwa 400 weitgehend der Kontrolle des Klerus und der st?dtischen Oberschichten entzogen gewesen; dieser ?zentrifugalen Kraft“ (Peter Brown) der Totenfr?mmigkeit h?tten dann die Bisch?fe durch unterschiedliche Ma?nahmen entgegenzuwirken versucht. Querverbindungen zu anderen Untersuchungsfeldern k?nnen sich im Blick auf die Rolle der Bisch?fe (Zentralisierung von Herrschaft), die Entstehung metropolitaner Liturgien sowie die Erfassung eines suburbanen Raumes mit besonderer kultureller, sozialer, architektonischer und ?konomischer Dynamik ergeben.
Erh?hte Heterogenit?t und die daran geknüpfte Erfahrung von Alterit?t ist auch hinsichtlich der in den Metropolen vertretenen Sprachgemeinschaften zu beobachten. Für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsmetropolen ist die Pr?senz alloglotter Bev?lkerungsgruppen konstitutiv. Eine Handelsstadt wie K?ln oder Venedig ist ohne die - vorübergehende oder auf Dauer gestellte - Anwesenheit ausw?rtiger bzw. ausl?ndischer Kaufleute nicht denkbar. Auch Universit?tsst?dte wie Bologna oder Paris sind mehrsprachige R?ume par excellence. Zun?chst mag dies durch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Dominanz des Lateins innerhalb religi?ser und juristischer Eliten verdeckt sein. Die Untersuchungen von Serge Lusignan zum mittelalterlichen Paris zeigen aber, in welch starkem Ma?e die volkssprachliche Mehrsprachigkeit, die ?hinter‘ der gemeinsamen lateinischen Distanzsprache steht, für die Stadt, aber auch für die universit?re Korporation pr?gend war. Weitere Faktoren der sprachlichen Heterogenit?t der vormodernen Metropolen sind religi?se Minderheiten wie die jüdischen Gemeinden, spezialisierte Handwerker, die nur saisonal in den Gro?st?dten pr?sent sind, die Tatsache, dass sich die gro?st?dtische Bev?lkerung nur durch den st?ndigen Zuzug aus dem umliegenden Hinterland regenerieren konnte, und, wie im Falle von Rom oder Konstantinopel, der Bev?lkerungsaustausch zwischen den Metropolen. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@es Ph?nomen der (Im)Migration gro?er Teile der gro?st?dtischen Bev?lkerung hat in den letzten Jahren in der historischen Linguistik endlich Beachtung gefunden. Neuere Forschungen zur Geschichte der Sprache von Paris, von Rom oder von Venedig zeigen, dass die traditionellen Denkmuster der historischen Linguistik, d.h. das Muster der (stadt)dialektalen Kontinuit?t von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Auch die vormodernen Gro?st?dte sind Inseln im Meer vergleichbar; sie sind soziale R?ume, die untereinander in einem wesentlich engeren Kontakt stehen als mit der unmittelbar anschlie?enden territorialen Umgebung, und sie weisen intern eine ganz eigene soziale Dynamik auf, die ihnen einen besonderen Stellenwert in der Sprachgeschichte zuweist. Mit den Stichw?rtern Koineisierung, Sprachmischung oder Sprachausgleich kann zumindest angedeutet werden, in welche Richtung diese mit der Abwendung von den gewohnten (Sprach-)Raumvorstellungen verknüpfte Neuorientierung geht: Sprachkontakt und Akkomodations- und Ausgleichsprozesse werden als wesentliche Bedingungen der sprachlichen Entwicklung in den gro?st?dtischen melting pots sichtbar, ebenso die interne Abstufung der st?dtischen R?ume hinsichtlich ihrer Vorbildfunktion und ihrer Ausstrahlungskraft. Es zeichnet sich ab, dass gerade in der Sprachgeschichtsforschung die moderne Metropolenforschung und ihre Differenzierung und Pr?zisierungen hinsichtlich sozialer Raumkategorien fruchtbar gemacht werden kann.
Die Dichte und Diversit?t von kommunikativen R?umen, die durch die unterschiedlichen Kommunikationsteilnehmer, sozialen Gruppen und Institutionen mit ihren je eigenen Interessen, Identit?tskonstruktionen und Repr?sentationsbedürfnissen konstituiert werden, geh?rt zu den unverwechselbaren Kennzeichen der metropolitanen Gesellschaft. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e Vielfalt generiert eine ?Offenheit‘ und Dynamik des sozialen Handelns: Variabilit?t und Innovativit?t werden durch die Pr?senz von alternativen Deutungs- und Handlungsformen erh?ht, im Gegenzug werden aber auch Strategien der Integration, Selektion und Exklusion in verst?rktem Ma?e notwendig. Kennzeichnend für die Metro- pole ist insbesondere die ?berlagerung unterschiedlichster symbolischer Ordnungen. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@ wird etwa in Regensburger Untersuchungen zur künstlerischen Repr?sentation des Stadtpatrons im st?dtischen Raum der Metropole Mailand und anderen italienischen St?dten n?her ausgeführt. Der metropolitane Kommunikationsraum ist somit durch die Dichte und Diversit?t sozialer Figurationen gekennzeichnet, deren reflexive Aneignung, Abgrenzung und Stabilisierung eine der metropolitanen Kommunikationsgemeinschaft eigene Rationalit?t und Dynamik von Repr?sentationen und normativen Setzungen erzeugt. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e erh?hte kommunikative und kulturelle Dynamik führt einerseits zu einer sch?rferen definitorischen Abgrenzung der vormodernen Metropole von anderen Herrschafts- und Sozialformen sowie andererseits zu einer verst?rkten Ausstrahlung auf letztere. Angesichts der insbesondere zwischen Sp?tantike und Hochmittelalter nur schwach ausgebildeten institutionellen Strukturen der Territorial- und Grundherrschaft im lateinischen Europa, deren kommunikatives Potenzial vor allem in gewohnheitsrechtlichen Fixierungen auf lokaler und regionaler Ebene ausgebildet ist, kommt den urbanen Zentren auch für die Ausübung territorialer Herrschaft und ihrer ?konomischen, administrativen und kulturell-repr?sentativen Anforderungen eine zunehmende Bedeutung zu.
In der Beschreibung von Metropolen wird somit eine Interdependenz sichtbar zwischen Bev?lkerungsgr??e und Akkumulationsprozessen einerseits und den topographischen, institutionellen und kommunikativen Verdichtungen andererseits, in welchen die lokale Spezifik des einzelnen Gemeinwesens symbolisch kondensiert und einem deutenden Zugriff vermittelt werden. In diesem Sinne bringt die beteiligte Wissenschaftlerin A.-J. Zwierlein den Forschungsschwerpunkt zu ?konomischen Diskursen im frühneuzeitlichen London ein. Mit der Bearbeitung der ?dichten‘ kommunikativen Praxis in vormodernen Metropolen befassen sich weitere Vorstudien aus dem Kreis der Regensburger Antragsteller: Hierzu geh?ren etwa die ?jurisdictional Complexity“ und Konkurrenzen im Gerichtswesen vormoderner Metropolen (M. L?hnig). Rechtliche Komplexit?t und ihre diskursive Bew?ltigung stehen auch im Mittelpunkt eines weiteren Forschungsschwerpunktes, der die Vielzahl und Bedeutung kl?sterlicher Institutionen im Prozess der Urbanisierung des mittelalterlichen Paris thematisiert (J. Oberste). Grundlegend ist hierfür die Beobachtung, dass der Pariser Stadtraum bis zum Ende des Ancien Régime unter verschiedenen geistlichen und weltlichen Grundherren aufgeteilt war und die k?nigliche Stadtherrschaft in vielen Bereichen nur nominell ein einigendes Band herstellen konnte. Innerhalb dieser Komplexit?t entstanden bereits im Hochmittelalter sowohl die wesentlichen Strukturen der Urbanisierung als auch langfristige Konflikte um die Zugeh?rigkeit von R?umen und ihren Bewohnern zu den verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Querverbindungen lassen sich aus diesem Forschungsbereich auch zu den Schwerpunkten Metropolitane R?ume und Metropolen als theatrum mundi ziehen: Insbesondere die Rolle der gro?en Pariser Stadtkl?ster (St. Martin-des-Champs, Ste. Geneviève, St. Germain-des-Prés u.a.), die bis zum Ende des Ancien Régime in den expandierenden Stadtvierteln um ihre Kl?ster herum veritable ?Stadtteilherrschaften‘ mit hoher Gerichtsbarkeit, Steuerhoheit und Bauplanung behaupteten, ist bislang noch wenig untersucht. Künftige Dissertationsprojekte k?nnen sich z.B. mit der umfangreichen, gro?enteils unedierten Pariser ?berlieferung auseinandersetzen, um zu kl?ren, welche Aushandlungsprozesse zwischen geistlichen Grundbesitzern und K?nigtum stattfanden. Ferner w?re die soziokulturelle Struktur ?geistlicher‘ Stadtviertel im Vergleich zu weltlich dominierten Zonen der Stadt, die insbesondere auf der Ile-de-la-Cité und bei den Hallen lagen, zu vergleichen. Gro?es Potenzial besitzt zudem der Transfer des Pariser Falls auf andere gro?e franz?sische und europ?ische urbane Zentren. Wie tarieren sich adlige Stadtherrschaft, bürgerliche Partizipationsansprüche und kl?sterliche Autonomie in expandierenden Wirtschaftszentren wie etwa Poitiers, Toulouse, Amiens, Mailand, Florenz, K?ln, Regensburg, Stra?burg u.a. aus? Machen sich hier Unterschiede zwischen (der regulierten) Stiftsgeistlichkeit und den exemten M?nchsorden bemerkbar (vgl. Noizet 2003 zu Tours)? Welche Rolle spielt das K?nigtum - oder im Sp?tmittelalter zunehmend - der Territorialherr in der Steuerung von Metropolisierungsprozessen?
Die Komplexit?t, die sich für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Metropolen aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Funktionseliten und der von ihnen gestützten Diskurstraditionen ergibt, ist auch für sprachwissenschaftliche Themenstellungen relevant. Die Metropole ist der soziale Raum par excellence, in dem ?konomische, rechtliche, religi?se und literarische Diskurse unmittelbar aufeinandertreffen und im Kontakt miteinander neue Formen von kommunikativer Interaktion, neue Vertextungsstrategien und neue sprachliche Verfahren entwickeln. Im westeurop?ischen Mittelalter findet diese Entwicklung zun?chst nur in der lateinischen bzw. arabischen Distanzsprachlichkeit statt. Erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts sind auch die Volkssprachen in diese Entwicklung eingebunden, interessanterweise mit sehr deutlichen regionalen Unterschieden. In den italienischen St?dten beispielsweise ?verhindert‘ die Kontinuit?t notarieller Institutionen seit der Sp?tantike geradezu den Ausbau der volgari. Eine ?hnliche Entwicklung deutet sich in den mozzarabischen Metropolen, beispielsweise in Toledo, an, wenn eine intensive und bereits fest etablierte Urkundenpraxis in arabischer Sprache noch lange nach der Reconquista weitergeführt wird. In Italien ist auch klar erkennbar, dass erst der Dominanzwechsel zu neuen sozialen Schichten, hier die aufstrebende Kaufmannsschicht, den Weg für eine volkssprachliche, nicht mehr lateinische/arabische distanzsprachliche Schriftpraxis frei macht. Auch im nordfranz?sischen und flandrischen Raum spielt die Stadt als sozialer Raum neuer ?konomischer Strukturen eine entscheidende Rolle. Die ?révolution de l’écrit“, der rasant zunehmende Gebrauch der Volkssprache in Urkunden, wird dadurch in Gang gesetzt, dass die st?dtischen Kaufleute zunehmend Landbesitz erwerben und für diese Transaktionen eine neue Urkundenschriftlichkeit entwickeln. Vollends entscheidend wird die kommunikative Dichte der Stadt dann, wenn in einem weiteren Schritte des di stanzsprachlichen Ausbaus der Volkssprachen die unterschiedlichen Schriftdom?nen geeint werden. Wiederum ist die Kaufmannsschicht entscheidend, weil sich hier Produzenten- und Rezipientengruppen entwickeln, deren volkssprachliche schriftkulturelle Kompetenz sich gleicherma?en auf Gesch?ftsbücher (als Produzent), Stadtbücher (als Produzent und Rezipient), Urkunden (als Rezipient) und literarische oder religi?se Texte (als Rezipient) bezieht. Die unterschiedlichen Ausformungen einer solchen dom?nenübergreifenden Kompetenz, der produktive Umgang mit der unterschiedlichen Verteilung von Lese- und Schreibkompetenzen und die Ausbildung kollektiver Rezeptionsstrukturen (Vorlesen, Buchverleih etc.), der produktive Umgang mit Mehrsprachigkeit und die intensive Zirkulation von Codices zwischen den Metropolen, schlie?lich die Praktiken einer mass literacy auf der Basis des neuen Mediums der Flugbl?tter, sind inzwischen bekannt, sind aber bei weitem noch nicht ausreichend empirisch erforscht, um die Dynamik dieser urban literacy in der Vormoderne auch nur einigerma?en absch?tzen zu k?nnen.