Obwohl sich der Holzstich durch Technik und Erscheinungsbild von Holzschnitt grundlegend unterscheidet, wurde er als Erneuerung der altdeutschen Kunst gefeiert, die einst Dürer und Burgkmair zur Vollendung geführt hatten. Der vermeintliche Rückgriff auf diese traditionelle Volkskunst stand ganz im Geist der Sp?tromantik. Sobald die ersten Bl?tter des Münchener Bilderbogens ver?ffentlicht waren, wurden diese wegen ihrer fortschrittlichen Drucktechnik anderen Offizinen als nachahmenswerte Beispiele empfohlen. Der Holzstich wurde begrifflich meist nicht vom Holzschnitt unterschieden, so dass er, durch die vermeintliche Synonymie unterstützt, sich nach g?ngiger Argumentation aus der altdeutschen Schabkunst entwickelt habe. Obwohl die Anstalt für Holzschneidekunst trotz ihrer Vorreiterstellung wegen mangelnder Modernisierung nicht dauerhaft konkurrenzf?hig blieb, wurde Kaspar Schneider als Begründer dieser popul?ren Grafiktechnik gefeiert.
Moritz von Schwind: Die Kinder im Erdbeerschlage.
Nr. 72. 1851.
Im Münchener Bilderbogen wurden die Grenzen und M?glichkeiten des Holzstichs in zweierlei Hinsicht ausgereizt. Da die Künstler ihre Entwürfe auf das Hirnholz selbst übertragen mussten, entwickelten manche Künstler, allen voran Wilhelm Busch, einen pointierten, knappen Stil, der in Bildscherzen auf klare Umrisse mit sparsamen Schraffuren setzt. Um sich unn?tige Arbeit zu ersparen, wurden Zeichnungen entworfen, die von ihrer Anlage her, problemlos und ohne gro?en Aufwand auf den Holzstock zu übertragen waren: Die so entstandenen Linien- oder Faksimiledrucke entsprechen identisch dem gezeichneten Entwurf.
Wilhelm Busch: Die kleinen Honigdiebe.
Nr. 242. 1858/59. Ausschnitt.
Die Kleinen Honigdiebe wurden im 11. Jahrgang des Münchener Bilderbogens als erste Bildgeschichte von Wilhelm Busch ver?ffentlicht. Im Vergleich zu sp?teren Bogen Buschs l?sst sich die Entwicklung seines Zeichenstils zu einer pointierten Umsetzung mit wenigen, aber dafür markanten Umrisslinien und zurückhaltender Schraffur beobachten.
Wilhelm Busch: Müller und Schornsteinfeger.
1868/69. Ausschnitt.
Schwieriger war es, Gem?lde oder ?lbilder auf Buchsbaumholz zu bannen: Die Stecher mussten das Bild ma?stabsgetreu verkleinern und zus?tzlich eine Farbigkeit simulieren. Da das Hartholz in seinem Querschnitt bei der Bearbeitung einen hohen Widerstand bot, konnten mittels feiner Stege eine Vielzahl von Linien Hell-Dunkel-Abstufungen erzeugt werden, so dass der Eindruck einer Tonwertigkeit entstand. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@er sogenannte Tonstich wurde im 19. Jahrhundert zu der popul?rsten Illustrationstechnik, die erst durch die Farblithographie abgel?st wurde.
Ferdinand Knab: Verlassen (Architectur).
Nr. 590. 1872/73. (Ausschnitt)
Da die eingereichten Entwürfe früher auf den Stock abgepaust wurden und sich dadurch nicht erhielten, fand nicht jeder Künstler sein Werk gebührend oder vollst?ndig umgesetzt. Erst mit der photomechanischen Reproduktion einer Vorlage war eine gr??tm?gliche Detailtreue gew?hrleistet.
Die h?chste künstlerische Anerkennung wurde Moritz von Schwind zu Teil: Als er seine Illustration des Gestiefelten Katers 1850 ganzseitig auf dem Münchener Bilderbogen Nr. 48 herausgab, hatte er den gr??ten Holzstich seiner Zeit geschaffen. Er erz?hlte zyklusartig das M?rchen in Sequenzen, die er zu einem Erz?hlbild komponierte. Die Publikation seines detailverliebten Kunstwerks im Rahmen eines Bilderbogens, der freilich bislang als billige Konsumkunst galt, war unerh?rt:
Doch rümpften Viele die Nase, als verlautete, da? ein so sch?ner Abdruck um einen Groschen zu haben sei. So tief steckte der Hochmuth aus der alten ?historischen Schule“ den Leuten im Leibe, da? sie den Künstler bedauerten, ?der so tief gesunken, da? er sogar Bilderbogen mache“. Von der Tragweite dieses ?cht volksthümlichen Unternehmens, von dem unsch?tzbaren Verdienst, die herrlichsten Erzeugnisse der Kunst in allen Schichten einzubürgern, hatten doch die wenigsten eine Ahnung. (ADB, S. 18 f.)
Im gleichen Jahr stellte der Kunstverein München Schwinds Gestiefelten Kater aus. Es erübrigt sich zu erw?hnen, dass die Herzen der Romantiker wegen der Themenwahl eines wunderbaren M?rchens h?her schlugen. Zudem führten eine ungeb?ndigte Natur und eine trutzige Burg die Einzelszenen zu einer organischen Einheit zusammen. Dennoch konnte sich Schwind nicht recht über seinen Erfolg freuen, zog es ihn doch zur Decken- und ?lmalerei hin.
Im 20. Jahrhundert versuchte der Verlag den Münchener Bilderbogen in moderner Aufmachung einer Farblithographie herauszugeben. Die knalligen, fl?chig deckenden Farben ver?nderten das ?u?ere Erscheinungsbild so stark, dass von dem einstigen xylographischen Stil mit dezenter Kolorierung nichts mehr übrigblieb. Zudem war das Interesse für Bilderbogen beim Publikum nicht mehr zu wecken, da neben dem Flachdruckverfahren die Fotografie einen h?heren Reiz, da authentischer, ausübte und das Zeitalter der Illustrierten anbrach.