Die Kollektivwissenschaft ist eine im Entstehen begriffene Disziplin, die von der Regensburger Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft, der Professur für Kollektiv- und Kulturwissenschaften und der Hansen-Stiftung betrieben wird. Im aktuellen Entwicklungsstadium stellt sie eine multidisziplin?re Forschungsperspektive dar, ?hnlich dem, was man unter den ?Studies“-Begriff fasst. Man k?nnte also von Kollektivit?tsstudien oder collectivity studies sprechen.
Der Gegenstand der Kollektivwissenschaft ist Kollektivit?t, den sie sich mit den Nachbardisziplinen Soziologie und Kulturwissenschaft (Ethnologie, cultural studies) teilt. ?bereinstimmungen zwischen Individuen, ihre Gemeinsamkeiten, bilden das Grundelement der Kollektivit?t. Solche Gemeinsamkeiten k?nnen basal oder banal sein, wie z.B. Kaffeetrinken und Tennisspielen, oder aber erheblich brisanter, wie der geteilte und zugleich Andere ausgrenzende Glaube an bestimmte Gottheiten oder an eine ?natürliche‘, z.B. ethnische Identit?t und Differenz. Sie lassen sich abstrahieren und als Basis von Kollektiven betrachten. Individuen sind zugleich stets multikollektiv. Sie sind etwa gl?ubige kaffeetrinkende Tennisspielerinnen, aber auch Serbinnen oder Kosovarinnen, russische oder ukrainische Staatsbürgerinnen, usw. Sie sind Mitglieder in vielen Kollektiven und k?nnen in jedem Kollektiv die aus diesen Mitgliedschaften resultierenden Erfahrungen einbringen. Daher st??t der Verbund aus Gemeinsamkeiten (Homogenit?t: alle sind z.B. Tennisspieler) stets auf das Gegengewicht des Trennenden, worin sich die Kollektivmitglieder unterscheiden (Heterogenit?t: der eine Tennisspieler ist z.B. katholisch, der andere evangelisch, Atheist, Jude oder Muslim usw.). Daraus zieht das Kollektiv Energie, die zu kollektiven Solidarisierungen und Identifikationen ebenso führen k?nnen, wie zu kollektiven Konflikten und Ausgrenzungen.
Kollektive lassen sich mithilfe der Kollektivkomponenten Gemeinsamkeit, Kontakt, Hülle (z.B. eine Vereinssatzung), Ich-Bezug (das Ausma? individueller Identifikation mit dem Kollektiv), Kultur, Solidarit?t und Wir-Gefühl (u.a.) analysieren. Je nachdem, wie diese und andere Komponenten beschaffen sind, ergeben sich unterschiedliche Folgen für die Kollektivdynamik und die Mitglieder, deren Individualautonomie erh?ht oder beschnitten werden kann. Ist die Dynamik zu heterogenit?tslastig, kann sie die Koh?sion des Kollektivs gef?hrden. Das dynamische Zusammenspiel von Heterogenit?t und Homogenit?t pr?gt insbesondere die polykollektiven Dachkollektive Stadt, Region und Nation. Sie versuchen, das soziale Chaos, das sich aus Mit-, Für-, Neben- und Gegeneinander von tausenden oder gar Millionen von Individuen und den vielen Kollektiven, die diese bilden, ergeben kann, mit verschiedenen Verwaltungsma?nahmen (Hülle, Institutionalisierungen) stabil zu halten.
Die Publikationen der Forschungsstelle, die vor allem aus der ?Zeitschrift für Kultur- und Kollektivwissenschaft“ (ZKKW, seit 2015) sowie der Schriftenreihe ?Kultur und Kollektiv“ (beide transcript Verlag, Bielefeld) bestehen, haben sich unter anderem diesem Gegensatz von kollektiver Homogenit?t und Heterogenit?t und den daraus resultierenden Dynamiken gewidmet und sie theoretisch analysiert sowie empirisch beschrieben. Der Ansatz der Kollektivwissenschaft ist multidisziplin?r, was unter anderem erkl?rt, warum in Zeitschrift und Schriftenreihe z.B. philosophische Texte neben arch?ologischen und juristischen erscheinen. Da Kollektive alle gesellschaftlichen Lebensbereiche durchdringen und sich zudem ebenso ver?ndern wie auch die wissenschaftlichen und politischen Debatten, die um Kollektive geführt werden, ist der Bestand an Themen im Grunde unendlich.
Für die n?here Zukunft sind folgende Schwerpunkte geplant: