Zu Hauptinhalt springen

Die Schattenkunst im 19. Jahrhundert

Die Schattenkunst nach 1800 verfolgte einen anderen Ansatz als die strengen Vorgaben des vorgehenden Jahrhunderts. Sie befreite sich immer mehr von der naturgetreuen Abbildung eines Models oder dem Akt der Augenblickskunst. Die Landschaften wurden phantasievoller, die dargestellten Figuren von B?umen, Blüten, Ranken und Wurzeln umrahmt, nahezu schon bedr?ngt. Nicht selten wohnte diesen Genrebildern eine humorvolle Botschaft inne. Durch die neue Fülle an Dekorationsbeiwerk und Figurenreichtum entstanden umfangreiche Szenerien.

bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e neuartigen Kompositionen gründeten auf dem Ideenreichtum der Silhouettenkünstler der Jahrhundertwende wie Daniel Chodowiecki (1726-1801), Philipp Otto Runge (1777-1810) und der Meisterin des Scherenschnitts Christiane Luise Duttenhofer (1776-1829). Als herausragende Formschnittkünstler treten ab den 40er Jahren Moritz von Schwind (1804-1871), Paul Konewka (1804-1871), Adolph Menzel (1815-1905) und Karl Fr?hlich (1821-1898) hervor.

Von den Kneipbildern abgesehen, sank das Interesse nach geschnittenen oder gerissenen Portraits. Erfindungen wie die Daguerreotypie erlaubten in einem einfachen Verfahren ab Mitte der 30er Jahre fotografische Reproduktionen in Schwarz-Wei?-Bildern, die wenig sp?ter manuell koloriert wurden. Auch die M?glichkeiten der Lithographie (ab 1798) er?ffnete neue Wege: Alois Senefelder nutzte die absto?ende Wirkung von Wasser und Fett zu einem Flachdruckverfahren mittels Steinplatten. Durch einen mehrfachen Druckvorgang konnten Farbbilder in hoher Auflagenzahl produziert werden. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e technischen Neuheiten übten eine solche Faszination aus, dass das selbst produzierte Bild, wenn auch ein Unikat, zugunsten einer Druckgraphik aufgegeben wurde.

Die Schattenkunst fand dennoch ihr breites Publikum, indem sie nicht nur ihre Themen und Motive ?nderte, sondern auch ihre Herstellungsweise an die Zeit anpasste. Die Silhouetten fanden ihren Weg in die Druckpresse für kommerzielle Zwecke: Die Schatten wurden als Scherenschnitte auf ein Vervielf?ltigungsmedium übertragen oder gleich als Malerei konzipiert. Moritz von Schwind schnitt gerne in Wei?, seine Schattenszenerie malte er meist in schwarzer Tusche. Konewka, der Schwager Trojans, fertigte nach Scherenschnitten Lithographien und Holzschnitte für Buchillustrationen an: zu Faust, Shakespeares Sommernachtstraum, Falstaff und Peter Schlehmils wundersame Geschichte, deren Romanheld bemerkenswerterweise seinen Schatten verliert! Karl Fr?hlich erfreute die Kleinen mit seinen Scherenschnittgeschichten in Kinderbüchern.

Franz von Pocci (1807-1876) lie? seine schwarzen Figuren allerlei Schabernack treiben und verwischte so die Grenze zwischen Malerei und Schattenspiel. Nicht mehr ein Augenblick sollte dem Betrachter vorgeführt werden, sondern eine Handlung: In Form eines Comicstrips erz?hlt er heitere und ausgelassene Geschichten in mehreren Szenen. Die gesichtslosen Wesen erkl?ren sich in ausladenden und karikierenden Gesten. Seinen gr??ten Erfolg feierte er wohl mit seinen bebilderten Kasperlgeschichten und Kinderbüchern. Das Geschehen kommentierte er mit lustigen und belehrenden Reimen. Seine humorvollen Erz?hlungen ver?ffentlichte er zudem im Münchener Bilderbogen und in den Fliegenden Bl?ttern. Pocci spielt mit den Grenzen der Schwarz-Wei?-Kunst, wenn er das Publikum bei einem Kasperlstück auf ein schwarzes Rechteck starren und dabei ausrufen l?sst:

Ah! Welch reiche Ideenpracht, / Und alles geschieht bei Nacht! Wie gut ist`s doch ausersonnen! / Wie sch?n der Faden fein gesponnen! / Der Dichter zeiget gro?es Talent, / Beweist, dass er die Klassiker kennt. (Pocci: Kasperls Heldentaten, Kap. 6.)


Bauernkirchweih

Kaspar Braun: Die Bauernkirchweih.

Nr. 107. 1852/53.


Im 5. Erscheinungsjahr (1852/53) der Münchener Bilderbogen gab der Verleger und Stecher Kaspar Braun mit der Nummer 107 den Auftakt für die Schattenkunst: Unter dem Titel Die Bauernkirchweih wird der Verlauf des Volksfests humorig dargestellt: Nach eifrigen Vorbereitungen wird zum Tanz aufgespielt und die ausgelassene Stimmung führt alsbald zu einer Schl?gerei. Das Publikum war von den überzeichneten Gesten der schwarzen Figuren so angetan, dass sich der Verlag entschloss, noch im gleichen Jahr drei weitere Schattenbogen herauszubringen. Das Gastmahl (Nr. 111), ebenfalls ein Entwurf von Kaspar Braun greift die Handlung der Bauernkirchweih auf und transportiert sie in den Salon herrschaftlicher Kreise: Nach ausgiebiger Toilette werden Aufwartung und Konversation in einer f?rmlichen Beliebigkeit betrieben, die durch die Spiegelung der Figuren die pers?nlichkeitsraubende Etikette entlarvt. Das pomp?se Gastmahl verliert am Ende seine Eleganz, als ein Herr seiner flüssigen Wegzehrung ausgiebig zuspricht und eine Besserung seiner Befindlichkeit nur durch grobe Heilkünste erreicht wird.


Gastmahl

Kaspar Braun: Das Gastmahl.

Nr. 111. 1852/53.


Drei Nummern sp?ter entführt uns Pocci mit Harlekin und Columbine in die phantasievolle Abenteuerwelt seines gerissenen Kasperls. Tony Muttenthaler steuerte mit seinen Reiterscenen den letzten Silhouettenbogen des 5. Jahrgangs bei. Bis zum 48. Jahrgang (1895/96) erschienen mehr als 60 Schattenbogen, die sich ihres treuen Publikums fast ein halbes Jahrhundert hinweg? gewiss sein konnten. Wie bei den didaktisch gepr?gten Serien setzte der Verleger Kaspar Braun abgesehen von seiner eigenen Person auf einen engen Mitarbeiterkreis, der sich auf die schwarze Kunst verstand: Franz von Pocci (1807-1876), Ernst Fr?hlich (1810-1882), Karl Stauber (1815-1902), Tony Muttenthaler (1820-1870), Eduard Ille (1823-1900), Friedrich Steub (1844-1903), Theodor von Kramer (1852-1927) und Eduard Fehrenbach. Nur wenige Bl?tter wurden von anderen gestaltet.


Harlekin

Franz von Pocci: Harlekin und Columbine.

Nr. 114. 1852/53.


Die meisten Schattenbogen waren für Kinder entworfen. Franz von Pocci adressierte seine n?rrischen Kasperlgeschichten direkt an seine kleinen Bewunderer: z. B. Allerneuestes Schattenspiel für die lieben Kinder, welches in einer kleinen Serie von drei Bogen erschien. Die schwarzen Figuren treiben ihre Narreteien für Jung und Alt bei Schlittenfahrten, Maskenzügen, Zirkusveranstaltungen und Alltagsbegebenheiten. Gerne wird auch eine exotische Kulisse wie z. B. bei den Chinesischen Schattenbildern Karl Staubers (Nr. 198) gew?hlt. In die witzigen Darstellungen schlich sich bisweilen ein p?dagogisches Element ein: Bogen wie Die Thiere des Waldes (Nr. 730) und In Feld und Flur (Nr. 847) dienten unterstützt von Versen, Sentenzen und Sprichw?rtern der Belehrung. Unter dem Titel Laterna magica (Nr. 128, 129) gab Kaspar Braun zwei Bogen mit Wei?silhouetten zum Ausschneiden heraus. Die Papierstreifen waren wohl für das gleichnamige Projektionsger?t gedacht, das im 19. Jahrhundert auch in einer günstigen Ausführung für Kinder erh?ltlich war.

An Erwachsene und ?ltere Jugendliche richteten sich Schattenbogen von gehobenem Anspruch wie die Darstellung der Oper Turandot (Nr. 270, Eduard Ille) oder milit?rische Themen: z. B. Feldlager aus dem dreissigj?hrigen Kriege (Nr. 152, Tony Muttenthaler), Schattenbilder aus dem russisch türkischen Kriege (Nr. 161, Karl Stauber) oder Milit?rische Redensarten (274, Kolb).

Bisweilen erschienen auch durchnummerierte Serien, deren Einzelbl?tter durchaus von unterschiedlichen Künstlern angefertigt sein konnten: z. B. Neue Schattenbilder in sieben Bl?ttern (Nr. 753, 764, 768, 782, 790, 814, 822, 839, 32. -35. Buch, 1879-1883).


Dunkle Gestalten

Theodor von Kramer: Dunkle Gestalten.

Nr. 692. 1876/77. (Ausschnitt)


  1. STARTSEITE UR
Rutschpartie191

Eine Virtuelle Ausstellung

der Universit?tsbibliothek Regensburg