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Reales und Irreales

Beitrag 17, November 2024

Ob Juristen oder Journalisten – es ist verblüffend, wie oft sogar in Texten dieser beiden Berufsgruppen, deren Handwerkszeug die Sprache ist, der Konjunktiv falsch verwendet wird. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Der?Konjunktiv I?ist im Normalfall die richtige Form für Zitate, die man in indirekter Rede wiedergibt. Ein Beispiel: ?Der Zeuge hat ausgesagt, die Ampel?habe?Rotlicht gezeigt.“ Grammatikalisch falsch w?re hier der Indikativ (also die Grundform von T?tigkeitsw?rtern, auch Normalmodus oder Wirklichkeitsform genannt): ?Der Zeuge hat ausgesagt, die Ampel?hat?Rotlicht gezeigt“ – obwohl auch diese Formulierung eigentlich nicht falsch verstanden werden kann.

Wichtiger ist die korrekte Verwendung der indirekten Rede aber in den vielen F?lle, in denen in l?ngeren Texten – seien es Hausarbeiten, Aufs?tze, Urteile oder dergleichen – eine ?u?erung eines Dritten in einem eigenst?ndigen Satz auftaucht. Wenn ein Autor oder ein Gericht oder wer auch immer eine andere Person zitiert, wird zwar oft aus dem Gesamtzusammenhang deutlich, dass es sich nicht um die eigene Aussage des Verfassers handelt. Aber wird dann nicht der Konjunktiv I verwendet, kann dies doch manchmal zu dem Missverst?ndnis führen, hier würde der Verfasser des Textes eine eigene Behauptung oder Ansicht artikulieren. Die indirekte Rede schützt ihn dann bei Lesern (m/w/d) vor dem Irrtum, er stehe selbst dahinter bzw. mache sie sich zu eigen. Das kann heikel sein, wenn die eigene Position eine v?llig andere ist.

Ein wichtiger Hinweis zum Stil: Wenn über l?ngere Passagen hinweg jemand zitiert wird, ermüdet eine durchg?ngige Verwendung der indirekten Rede die Leser. Dann hilft der Trick, ab und zu eine Phrase wie ?nach Angaben von“ einzuschieben. In diesem Fall ist in dem betreffenden Satz der Indikativ nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Falsch w?re also: ?Nach Angaben der Polizei?sei?[statt:?ist] der Fahrer zu schnell gefahren.“

Im Gegensatz dazu steht im?Konjunktiv II?(auch Irrealis genannt), was nur hypothetisch gemeint ist. Etwas, von dem zumindest der Autor meint, es sei nie geschehen, sei nicht der Fall oder werde nie geschehen. Etwa: ?W?re?der Mond eckig, dann …“ Ein gutes Beispiel für die Doppeldeutigkeit, wenn der Irrealis nicht als solcher kenntlich gemacht wird, findet sich auf der Duden-Webseite: ?Sonst wohnten wir dort nicht / (deutlicher:) würden wir dort nicht wohnen.“ (Die erste Version kann ja auch in dem Sinn gemeint sein, diesmal habe man dort zwar tats?chlich gewohnt, sonst aber nicht.)

Was kann man alles verkehrt machen? Ein hübsches Beispiel für den?falschen Gebrauch des Konjunktivs Istatt des Irrealis war auf der Internetplattform X (vormals Twitter) zu finden: ?Früher waren sie es, die dem Tod Hohn lachten, die rauchten und tranken, als?gebe?es kein Morgen.“ Nein! Hier h?tte es hei?en müssen: ?g?be“ (Konjunktiv II). Denn natürlich gibt es immer ein ?morgen“; der Schreiber wollte nur die Haltung von Menschen anprangern, die sich der gef?hrlichen Konsequenzen ihres Tuns nicht bewusst sind. – Umgekehrt ist es aber in der Regel auch?unangebracht, den Konjunktiv II zu gebrauchen, wenn es um eine indirekte Rede geht. Also etwa den Zeugen eines Verkehrsunfalls so zu zitieren: ?Der Passant sagte aus, der Fahrer?w?re?zu schnell gefahren.“ Da muss es hei?en: ?sei“. Denn zumindest jener Beobachter war ja überzeugt davon, dass die Geschwindigkeit zu hoch war.

Von dem Gebot, in der indirekten Rede den Konjunktiv I zu verwenden, gibt es vor allem zwei Ausnahmen:

1.) Wenn die gebeugte Form des entsprechenden Verbs genauso lautet wie der Indikativ. Beispiel: ?Max sagt, er trage lieber Fliegen als Krawatten. Sie?stehen?ihm am besten.“ Da bleibt unklar: Hat Max den zweiten Satz gesagt, oder ist es eine Aussage des Schreibers? Denn laut Duden-Konjugationstabelle ist ?stehen“ auch die korrekte Beugungsform für den Konjunktiv I im Pr?sens (der Gegenwartsform). Hier kann man sich entweder mit dem Wort ?würde“ behelfen (unsch?n, weil damit normalerweise etwas als irreal Gedachtes gemeint ist). Oder man muss den eigentlich unpassenden Konjunktiv II verwenden. Beispiel: ?Sie sagte, sie?k?men?heute Nachmittag“ w?re die formal korrekte Wiedergabe des ursprünglich ausgesprochenen Satzes: ?Wir?kommenheute Nachmittag“. (Auch das hat den Nachteil, dass Leser dies als ?echten“ Irrealis missverstehen k?nnten – also glauben k?nnten, die Betreffenden wollten wirklich nicht kommen, weil es etwa regnet oder das Auto kaputt ist.)

2.) Wenn die dafür erforderliche Beugung (Konjugation) heutzutage altertümlich und gespreizt wirkt. Dennoch schrieb die F.A.Z. im Oktober 2024 zur Diskussion um die Einführung eines integrierten Bachelor im Jurastudium: ?Zudem hülfen die immer mit dem LL.B.-Grad verbundene schriftliche Arbeit und die mündliche Prüfung bei der Vorbereitung des Staatsexamens.“ Nicht falsch, aber die SZ oder die taz würden es sicher anders ausdrücken.

Ach ja – und all das gilt natürlich in allen Zeitformen (Tempora), also im Pr?sens (?Sie sagt am Handy, sie sitze gerade im Bus.“), Pr?teritum (?Sie sagt, sie sei am Dienstag in Berlin gewesen.“?[im Indikativ: ?Ich war am Dienstag in Berlin.“]), Perfekt (?Sie sagt, sie habe gerade im Bus gesessen, als ihr Handy klingelte [streng genommen:?geklingelt habe].“), Plusquamperfekt (?Sie sagt, [sie sei ins Kino gegangen,] nachdem der Regen begonnen habe [streng genommen:?h?tte].“), Futur I (?Sie sagt, sie werde gerade im Bus sitzen, wenn die Abstimmung stattfindet [streng genommen:?stattfinden werde].“) und Futur II (?Sie sagt, bei ihrer Ankunft werde die Abstimmung schon stattgefunden haben.“). In den letzten vier F?llen sind die hier beschriebenen Grunds?tze auf das bereits im Indikativ vorhandene Hilfsverb anzuwenden, genauso bei S?tzen im Passiv (hier ein Beispiel im Pr?sens:??Sie sagt am Handy, sie werde gerade von einem unbekannten Mann verfolgt.“).

Prof. Dr. Joachim Jahn,?Mitglied der NJW-Chefredaktion, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) a.D., Berlin und Frankfurt


  1. Fakult?t für Rechtswissenschaft

Prof. Dr. Bernd J. Hartmann,?LL.M. (Virginia)

Lehrstuhl für ?ffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften


Geb?ude RW(L), Zi. 2.09 lehrstuhl.hartmann(at)ur.de

Sekretariat: Karolin Kuntscher
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