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Geht das besser?

Selbst bei gutem Willen st??t das Bemühen um verst?ndliche — vielleicht sogar adressatenfreundliche — Kommunikation mitunter an Grenzen. In Rechtstexten gibt es deren einige, etwa Normzitate, Quellenbelege und notwendige Aufz?hlungen.?

  • Um Normzitate kommt man nicht herum, egal ob man ein Gesetz entwirft oder einen Vertrag, ein Rechtsgutachten schreibt oder einen Fachzeitschriftenbeitrag. Wie sehr sie aber den Lesefluss hemmen, merkt schon, wer nur das harmlose Beispiel unten einmal laut vorliest.?
  • Mit den Quellenangaben ist es nicht viel besser. Juristische Argumentation verzichtet ungern auf Autorit?ten — und wer wissenschaftlich arbeitet, muss die Namen der Riesen angeben, auf deren Schultern er als weitblickender Zwerg zu stehen glaubt. Glücklicherweise sind in Fachzeitschriftenbeitr?gen und universit?ren ?bungsarbeiten hierfür Fu?noten seit Langem üblich; aber schon ein Blick in ein h?chstrichterliches Urteil zeigt, dass umfangreiche Klammereinschübe mit etlichen Belegstellen für die Lesbarkeit verheerend wirken k?nnen.
  • Erst recht gilt das, wenn der durch Normzitate unterbrochene und mit Quellenbelegen gespickte Satz sowieso schon lang ist, etwa weil er eine Aufz?hlung enth?lt, die man nicht kürzen kann oder will. Anlass hierfür kann die Aufz?hlung aller erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen in einem mustergültigen Obersatz im Gutachten bieten. Es kann auch die abschlie?ende Aufz?hlung zul?ssiger Gestaltungsm?glichkeiten oder Eingriffsvoraussetzungen im Gesetz sein.

Dass man aber auch beim Zusammentreffen zweier oder mehrerer solcher erschwerender Faktoren nicht gleich die Flinte ins Korn werfen muss, zeigt ein Beispiel aus einem jüngeren BGH-Urteil:

?Im Hinblick auf diese in rechtlicher wie tats?chlicher Hinsicht gebotene umfassende Prüfung muss die Abw?gung jeweils zu demselben Ergebnis führen unabh?ngig davon, ob der Abw?gungsvorgang seinen Ausgangspunkt in der Frage nimmt, ob die Verarbeitung der Daten allgemein zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beklagten oder eines Dritten erforderlich war (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO), ob die Verarbeitung speziell der Daten des Kl?gers aus Gründen eines erheblichen ?ffentlichen Interesses erforderlich war (Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DS-GVO) oder ob die Beklagte zwingende schutz?wür?dige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, die die Interessen, Rechte und Freiheiten des Kl???gers als der betroffenen Person überwiegen (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO).“ — BGH, NJW 2022, 2476 (2478, RN.17)

Der Satz ist mit 93 W?rtern ordentlich lang und mit 27 Substantiven ziemlich dicht. Dass sieben davon auf -ung enden, verleiht ihm einen sehr beh?rdlichen Charme. Die vier ob lassen ihn nicht eleganter wirken, auch wenn deren letzte drei immerhin die Aufz?hlung ganz gut strukturieren.

Den Satz in Leichte Sprache umzubauen, dürfte eine ?bung für sehr fortgeschrittene Fortgeschrittene sein, geschenkt. Aber wie w?re es mit einem ernsthaften Versuch, ihn inhaltswahrend so zu verbessern, dass er immer noch in einem Urteil stehen k?nnte? Erst selbst ausprobieren, dann weiterlesen!

Als Arbeitsgrundlage finden Sie hier einen ersten Vorschlag:

?Die Abw?gung erfordert also eine umfassende rechtliche und tats?chliche Prüfung. Sie muss zu demselben Ergebnis führen, unabh?ngig vom Ausgangspunkt. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@er kann in der Frage be?ste?hen, ob die Datenverarbeitung allgemein zur Wahrung berechtigter In?ter?es?sen der Beklagten oder ei?nes Dritten erforderlich war (Art. 6 I f) DS-GVO). Er kann auch in den Fragen liegen, ob die Verarbeitung speziell der Daten des Kl?gers wegen eines er?heb?li?chen ?ffentlichen Interesses er?for?der?lich war (Art. 9 II g) DS-GVO) oder ob die Beklagte zwing?ende schutz?wür?dige Grün?de für die Verarbeitung nachweisen kann, die die Interessen, Rechte und Freiheiten des Kl??gers überwiegen (Art. 21 I 2 DS-GVO).“

Das ist bei Weitem noch nicht optimal, aber: Aus einem Satz sind vier S?tze geworden, die (10+9+22+45=) 86 W?rter aufnehmen. Mit 22 Substantiven (und sechs -ung) ist die Quote immer noch ziemlich hoch. Durch die Verringerung auf drei ob tritt deren strukturierende Wirkung klarer hervor. Und es ist sogar kürzer als der Ausgangssatz.

Mit ein wenig Geduld und gutem Willen k?nnte da noch mehr zu holen sein. Nehmen Sie sich doch einfach mal ein paar Minuten Zeit für einen Versuch.

Ganz nebenher lernt man bei solchen kleinen ?bungen: Selbst ein inhaltlich überzeugendes nach allen Regeln der Kunst geschriebenes Urteil ist nicht durchgehend vorbildhaft. Also keinen falschen Respekt vor dem BGH!

Wer das Beispiel im Zusammenhang nachlesen m?chte, findet es bei?BGH ECLI:DE:BGH:2022:030522UVIZR832.20.0, Rn. 17. Zum Weiterüben dort Rn. 31.

Roland Schimmel (Frankfurt am Main)


  1. Fakult?t für Rechtswissenschaft

Prof. Dr. Bernd J. Hartmann,?LL.M. (Virginia)

Lehrstuhl für ?ffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften


Geb?ude RW(L), Zi. 2.09 lehrstuhl.hartmann(at)ur.de

Sekretariat: Karolin Kuntscher
Telefon 0941/943-2657
Telefax 0941/943-1974