Zu Hauptinhalt springen

Das Wortpaar ?anscheinend“ und ?scheinbar“

Beitrag 8, November 2016

In der deutschen Sprache kommt es vor, dass W?rter, die ?hnlich klingen oder aussehen, sehr unterschiedliche Bedeutungen haben.?

Ein Paradebeispiel bilden die in der Rechtswissenschaft wichtigen W?rter?anscheinend?und?scheinbar. Viele Muttersprachler verwenden diese W?rter synonym, obwohl ihre Bedeutung sehr unterschiedlich ist.?Anscheinend?bedeutet, dass etwas dem Anschein nach so ist. Zwar wei? der Sprecher nicht sicher, ob die Aussage zutrifft, vermutet es aber und kann das aufgrund der Anhaltspunkte auch schlüssig tun. Das Wort ist somit gleichbedeutend mit W?rtern wie?vermutlich?oder?wahrscheinlich.

Scheinbar?hingegen bedeutet, dass eine Situation so zu sein scheint, tats?chlich aber eine ganz andere ist. Bei korrekter Verwendung kann es daher stets mit dem Wort?nur?verbunden werden.

Hierzu zwei Beispiele:
?Herr Müller ist anscheinend ein guter Anwalt.“
?Herr Müller ist scheinbar ein guter Anwalt.“

In beiden F?llen scheint Herr Müller ein guter Anwalt zu sein. Der erste Satz sagt auch genau dies aus. Die zur Verfügung stehenden Informationen lassen den Schluss zu, dass Herr Müller ein guter Anwalt ist. Der zweite Satz sagt hingegen aus, dass Herr Müller nach au?en vielleicht seri?s wirkt, tats?chlich aber ein schlechter Anwalt ist. Deutlicher tritt dieser Sinn hervor, wenn Sie sich, wie oben beschrieben, das Wort?nur?hinzudenken.

Richtig verwendet wird dieses Wortpaar daher vom OVG Münster, NJW 1962, 698 ff.:?
?Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den F?llen des Abs. 2 Ziff. 4 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Das ist hier nur?scheinbar?[Hervorhebung des Verf.] geschehen; in Wahrheit genügt die Bemerkung am Schlüsse [sic!] der Vfg. v. 27. 4. 1961, dem ASt. fehle infolge seiner Bet?ubungsmittelsucht die für die Ausübung des ?rztlichen Berufes erforderliche Eignung und Zuverl?ssigkeit, seine weitere Berufsausübung bedeute eine Gefahr für die Allgemeinheit, nicht den Mindestanforderungen an eine Begründung i.S. von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. […]?Anscheinend?[Hervorhebung des Verf.] will der AGg. mit dem zuletzt zitierten Satz nicht behaupten, der ASt. gef?hrde seine Patienten dadurch, da? er ihnen zuviel Pervitin verordne; denn eine solche Begründung w?re sogar ungeeignet, die auf § 7 R?O beruhende Vfg. zu rechtfertigen. Gemeint ist wohl, […].“

bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e Unterscheidung ist nicht nur allgemeinsprachlich wichtig, sondern auch für das juristische Arbeiten. So kennt das Ordnungsrecht den Begriff der?Anscheinsgefahr. Bei einer?Anscheinsgefahr sprechen alle verfügbaren Informationen dafür, dass tats?chlich eine Gefahr vorliegt, ein Eingreifen ist der Ordnungsbeh?rde daher m?glich. Bei einer?Scheingefahr hingegen spricht der Schein zwar für eine Gefahr, tats?chlich liegt allerdings keine vor, was der Beamte auch h?tte erkennen k?nnen. ?hnlich verh?lt es sich mit der?Anscheinsvollmacht im Zivilrecht. Der Vertragspartner wird hier geschützt, da es für ihn so aussieht, als w?re der Vertreter vertretungsbefugt. Der Begriff der?Scheinvollmacht suggeriert hingegen die B?sgl?ubigkeit des Vertragsschlie?enden. Als weiteres Beispiel l?sst sich § 117 BGB, das sogenannte?Scheingesch?ft, anführen. Hier werden Willenserkl?rungen nur zum Schein abgegeben, sodass auch eine [nur]?scheinbare?Einigung vorliegt.

Mehr zu dem Thema ?Wortpaare“ finden Sie bei?Walter, Kleine Stilkunde für Juristen, 2. Aufl. 2009, München, S. 47 f.

Tobias Welzel


  1. Fakult?t für Rechtswissenschaft

Prof. Dr. Bernd J. Hartmann,?LL.M. (Virginia)

Lehrstuhl für ?ffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften


Geb?ude RW(L), Zi. 2.09 lehrstuhl.hartmann(at)ur.de

Sekretariat: Karolin Kuntscher
Telefon 0941/943-2657
Telefax 0941/943-1974