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Mitteilungen der Universit?t Regensburg

Die Empathie im Experiment

Wie fühlen wir mit anderen? Ein ?ffentlicher Vortrag von Dr. Jonathan Levy im Rahmen des International Presidential Visiting Scholar Fellowship (IPVSF)


29. Juli 2022

Dr. Jonathan Levy. Fotos: Julia Dragan/UR

Mit anderen fühlen, sich in andere hineinfühlen, einfühlsam handeln: Empathie, Einfühlungsverm?gen, ist ein Ph?nomen, das friedensstiftend ist und Gewalt hemmt. Aus verschiedenen Gründen ist Empathie jedoch bei manchen Menschen reduziert oder fehlt gar v?llig. Meist geht ein solcher Mangel an Empathie auch mit gest?rtem Sozialverhalten und Aggressionen einher, kriminelle Karrieren sind oftmals die Konsequenz. Wie sich dem Ph?nomen mangelnder Empathie daher schon bei Kindern und Jugendlichen begegnen und mit welchen Methoden sich Empathie f?rdern l?sst, ist an der Universit?t Regensburg Forschungsgegenstand des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie von Professor Dr. Romuald Brunner. Aktuell tauscht er sich mit einem besonderen Gast zum Thema aus: Jonathan Levy, Ph.D. von der Baruch Ivcher School of Psychology an der Reichman University in Herzliya und Academy Research Fellow am Department of Neuroscience and Biomedical Engineering an der Aalto University (Finnland), forscht unter anderem auf dem Feld der Empathie und ist in diesem Sommersemester mit einem International Presidential Visiting Scholar Fellowship (IPVSF) der Universit?t Regensburg in deren Forschung und Lehre eingebunden. Die Wissenschaftler Brunner und Levy kombinieren in ihrer Zusammenarbeit verschiedene Methoden und beforschen das Ph?nomen der Empathie experimentell. Levy nutzt in seiner Arbeitsgruppe auch in der Empathie-Forschung die Magnetoenzephalographie, abgekürzt MEG, ein nicht-invasives Verfahren zur Messung der magnetischen Aktivit?t des Gehirns.

Die Vizepr?sidentin für Internationalisierung und Diversity, Professorin Dr. Ursula Regener, begrü?te Dr. Jonathan Levy unl?ngst im Rahmen seiner ?ffentlichen Vorlesung ?Building an Empathic Brain in Times of Social Conflict“ als den fünften internationalen Wissenschaftler, der im Rahmen des IPVSF der UR in Regensburg forscht. Au?erdem ist er in die Lehre im Master-Studiengang ?Experimental & Clinical Neuroscience‘ eingebunden. In seinem Empathy-Building Neuro-Lab an der Aalto University forschen Levy und sein internationales Team im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften insbesondere zur menschlichen Empathie.

Was ist Empathie?

?Etwas sehr Wertvolles“, versichert Jonathan Levy den etwa 50 Zuh?rer:innen der abendlichen und für alle Interessierten offenen Veranstaltung im Vielberth-Geb?ude der Universit?t. In der Regel setzt sich Empathie aus drei Komponenten zusammen: Man teilt die Gefühle anderer, versteht deren mentalen Status (ohne sich im Verstehen zu verlieren) und sorgt sich um die Betroffenen, will helfen. ?ber alle drei Komponenten zu verfügen beschreibt Levy als entscheidend dafür, ob zivilgesellschaftliches Zusammenleben funktioniert und das Erreichen gemeinsamer Ziele m?glich wird. Doch manche Menschen haben Defizite, wenn es um Empathie geht: Psychopath:innen, die vielleicht nur vermuten k?nnen, dass jemand leidet – Hannibal Lector grü?t als Extremvariante von der Pr?sentation. Auch bei anderen psychiatrischen St?rungen, etwa des Sozialverhaltens, oder schwer ausgepr?gten Formen autistischer St?rungen, f?llt auf, dass die betroffenen Menschen verstehen, dass man leiden kann. Doch sind sie vielleicht nur sehr eingeschr?nkt in der Lage, mitzufühlen. Schlie?lich ist da noch ein sogenannter strategischer Regulierungsaspekt: In romantischen Beziehungen wird Empathie sich anders gestalten als bei gesch?ftlichen Verhandlungen.

Die eigene Gruppe

Eine weitere Botschaft an sein Publikum hat Levy parat: ?Be aware of the intergroup empathy switch!“ In der Praxis hei?t das: Mitglieder einer Gruppe zeigen den Mitgliedern der eigenen Gruppe gegenüber mehr Empathie als denen einer anderen. Levy regt an, dass an einem konkreten Beispiel direkt einmal bei sich selbst auszuprobieren: ?Sie sind Impfbefürworter, gegen COVID-19 geimpft und h?ren von einem radikalen Impfgegner, der auf der Intensivstation liegt. Tut er Ihnen genauso leid wie eine andere Person, die – so wie Sie – geimpft ist?“

Ein solch unterschiedliches Ma? an Empathie sei die Regel, erl?utert der Forscher: ?bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@es Ph?nomen sollten wir uns unbedingt bewusst machen.“ Ansonsten k?nne im konkreten Fall auch die Bereitschaft zur mangelnden Fürsorge für den an Covid-19 erkrankten Patienten steigen oder in politischer Hinsicht gar Gewalt und Grausamkeit begünstigen. Dann gibt es da noch das ?Syndrome E“ (so genannt von Professor Dr. Itzhak Fried): Gew?hnliche Bürger:innen werden zu Massenm?rder:innen – die Geschichte kennt nicht wenige Beispiele von V?lkermord. Menschen lassen sich manipulieren, erinnert Levy, Sprache spiele eine entscheidende Rolle. Wer andere dehumanisiere, sie mit unliebsamen Tieren, etwa Kakerlaken vergleiche, senke auch die Hemmschwelle zu Gewalt und T?ten: Levy spielt als Beispiel einen Radio-Mitschnitt aus Ruanda ein, wo 1994 Hunderttausende Menschen der Volksgruppe der Tutsi durch Angeh?rige der Hutu – von Milit?r ebenso wie von Zivilist:innen - ermordet wurden.

Bildgebende Verfahren: MEG

Jonathan Levy setzt experimentell an und nutzt dabei bildgebende Verfahren: Wann nach bestimmten Wahrnehmungen Empathie steigt oder sinkt und in welchem Zeitrahmen dies passiert, l?sst sich über sogenanntes Neuroimaging auch visuell nachvollziehen: Das Nervensystem des einzelnen Menschen l?sst sich abbilden, über Methoden wie die Elektroenzephalographie (EEG) oder die neuartige Magnetoenzephalographie (MEG): Die elektrophysiologische Aktivit?t des Gehirns erzeugt magnetische Felder, die ein modernes Ganzkopf-MEG sichtbar machen: Ein riesiger Helm, der ein wenig wie eine Trockenhaube im Friseursalon von 1977 anmutet, ermittelt mit Hunderten von Magnetfeldsensoren, was im menschlichen Kopf passiert und bildet dynamische Vorg?nge, etwa Durchblutung oder Liquorfluss, ab. Die Bilder lassen die Empathiekurve in bestimmten Situationen sichtbar werden und zeigen die Mechanismen eines empathischen Shutdowns im Gehirn.

Im Neuro-Lab wird deutlich, dass sich die Testpersonen dieses Shutdowns in der Regel nicht bewusst sind. Und auch nicht dessen, dass parallel zum Abflachen der Empathiekurve das Gefühl von Feindseligkeit ansteigt. bwin娱乐_bwin娱乐官网欢迎您@e Mechanismen auch mit neurobiologischen Methoden verstehen zu lernen, erscheint als eine wichtige Voraussetzung Interventionen zu entwickeln, die sich zum Ziel gesetzt haben, Empathie zu f?rdern - nicht nur im klinisch-psychiatrischen, sondern auch im gesellschaftlichen Kontext.?

Jonathan Levy und sein Team bedienen sich an dieser Stelle weiterer Methoden und Techniken, etwa virtueller Realit?t, des ?paradoxical thinking“, der Dialog-Intervention, der medialen Intervention. Der Referent führt durch eine Reihe von Beispielen, eigener und anderer Forschung. Konfliktbehaftete Alltagsszenen, etwa an israelisch-pal?stinensischen Grenzüberg?ngen, werden nachgespielt und den Testpersonen mit Hilfe einer VR-Brille gezeigt. Testpersonen werden mit paradoxen Fragen konfrontiert: ?Warum glauben Sie, dass alle Geflüchteten in Deutschland alles stehlen wollen?“ Mitglieder von Jugendgruppen verschiedener Konfliktparteien werden in Workshops, Gespr?chen, Dialogforen zusammengeführt und für den Konflikt, seine Ursache, Folgen, M?glichkeiten der Mediation sensibilisiert. Darauf folgen Interviews, bei denen die MEG Bilder der Gehirnaktivit?t liefert. MEG-Bilder vor und einige Jahre nach solchen Interviews lassen sich verglichen. So will man ablesen, ob sich das beispielsweise in Workshops zu Konfliktpr?vention Gelernte verfestigt hat.

Im besten Fall habe die Intervention den Empathie-Schalter wieder umgelegt, sagt Jonathan Levy. In der Konsequenz sinke damit auch wieder die Gewaltbereitschaft, erh?he sich die Sensibilit?t gegenüber Vorurteilen und er?ffne, etwa bei Krieg und Konflikt, die Rückkehr zu kompromissorientiertem Dialog.

twa.

Zusammenarbeit in Forschung und Lehre: Dr. Jonathan Levy (l.) und Prof. Dr. Romuald Brunner (r.). Foto: Julia Dragan/UR

Informationen/Kontakt

Das International Presidential Visiting Scholar Fellowship (IPVSF) der Universit?t Regensburg wurde erstmals für das Sommersemester 2016 aufgelegt und verfolgt das Ziel, international renommierte Wissenschaftler:innen für einen Short-Term-Forschungs- und Lehraufenthalt an der UR zu gewinnen. Im Rahmen eines drei- bis vierw?chigen Aufenthalts gegen Ende des Sommersemesters sind die Fellows in ein laufendes Forschungsprojekt an der UR eingebunden und bieten eine Lehrveranstaltung in Gestalt eines Blockkurses an. Ein besonderes Highlight im Rahmen des IPVSF stellt die ?ffentliche Special Lecture der Fellows dar.

Zu Dr. Jonathan Levy? und zum Empathy-Building Neuro-Lab

Zum Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universit?t Regensburg, Prof. Dr. Romuald Brunner

Weiterführende Literatur:

Jonathan Levy, Abraham Goldstein, Moran Influs, Shafiq Masalha, Ruth Feldman, Neural rhythmic underpinnings of intergroup bias: implications for peace-building attitudes and dialogue, Social Cognitive and Affective Neuroscience, Volume 17, Issue 4, April 2022, Pages 408–420, https://doi.org/10.1093/scan/nsab106

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