Von der Idee zur Grafik

Wie aus der Vorlage die Idee einer Graphic Novel entsteht

von Nele Heaslip

Aus einem Theaterstück eine Graphic Novel zu machen, liegt eigentlich auf der Hand – vor allem, wenn es sich um ein Stück Shakespeares handelt, und ganz besonders, wenn dieses Stück zu Shakespeares kontroversen Werken gez?hlt wird. Die Idee, eine Graphic Novel zu einem kanonischen Shakespeare-Stück wie Hamlet oder Romeo und Julia zu zeichnen, w?re mir gewiss nicht gekommen – das h?tte mir zu wenig Boden für textkritische Reflektion geboten. Damit flie?t in meine zeichnerische Besch?ftigung mit Shakespeare wohl auch ein wenig Streitlust und Respektlosigkeit mit ein.

Als ich das Stück The Tempest zum ersten Mal las, tat ich es mit gro?er Verst?ndnislosigkeit. Einerseits, weil das Stück keine klare Handlung aufweist – es gibt keinen Wendepunkt, keine Spannung, keine Herausforderung – andererseits, weil mich die absto?ende Charakterisierung des missgestalteten, sich ununterbrochen selbst erniedrigenden Sklaven Caliban in eine gewisse Emp?rung versetzte. Schlie?lich war es jedoch ebendiese Figur, die des Caliban, die mir Zugang zu Shakespeares The Tempest verschaffte. Ohne ihn w?re dieser Graphic Novel wohl nie entstanden. Nach ihm fing ich allm?hlich an, mich auch in die anderen Charaktere hineinzuversetzen, bis ich sie schlie?lich allesamt vor mir hatte und ich das Stück als Ganzes betrachten konnte. Es ist ein wunderbares, ausgesprochen vielseitiges Stück – und würde wohl ohne seine M?ngel, seine Ungereimtheiten und seinen unangenehmen imperialistischen Beigeschmack bei weitem nicht so sehr schillern.

Letztendlich habe ich diese Graphic Novel ganz aus Versehen vollendet. Ihn fertigzustellen ist nie meine Absicht gewesen – der einzige Grund, warum nun ein vollst?ndiges Werk vorliegt, ist, dass ich einfach nicht aufh?ren konnte, zu zeichnen, bis ich eines Tages pl?tzlich fertig war. Also hat im Grunde genommen die ?Idee“ zu einer Graphic Novel nie existiert – h?chstens die Idee zur Umsetzung einer bestimmten Szene, einer bestimmten Momentaufnahme aus dem Stück. Dafür, dass sich diese Momentaufnahmen schlie?lich zu einem vollst?ndigen Buch vereinten, übernehme ich sozusagen keine Verantwortung …